Der Artikel ist am 26.04.2018 von Martin Thaler auf procontra-online.de veröffentlicht worden
Ein Mann war nach Abgabe des Versicherungsantrags, doch vor Vertragsschluss schwer erkrankt. Die Frage, die die Gerichte nun beschäftigte, war, ob der Mann Leistungen aus seiner Berufsunfähigkeitsversicherung bekommen sollte.
Über einen BU-Leistungsfall musste nun das Thüringer OLG entscheiden.
Wer eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließt, ist gut beraten, bei der Beantwortung der Gesundheitsfragen Ehrlichkeit walten zu lassen. Ansonsten hat der Versicherer im Leistungsfall die Möglichkeit, den bestehenden Vertrag zu widerrufen – der Versicherungsnehmer geht somit leer aus. Aber was ist, wenn eine Krankheit nach dem Versicherungsantrag auftritt, jedoch vor Vertragsnahme? Muss der Versicherungsnehmer die entsprechenden Informationen an den Versicherer nachreichen? Ein Fall aus Thüringen behandelte nun diese Frage (Az: 4 U 740/13).
Der Fall
Ein zu dem Zeitpunkt 25-jähriger Mann beantragte am 26. August 2008 eine Berufsunfähigkeitsversicherung. Da der Mann in seinem Antrag einen regelmäßigen Alkoholkonsum bejaht hatte und auf einen nicht reparablen, aber beschwerdefreien Anriss im Kreuzband verwiesen hatte, forderte die Versicherung eine gesonderte Erklärung von dem Mann zu diesen Themen an.
Hierin heißt es auch: „Ich wiederhole sämtliche Erklärungen, die ich im Zusammenhang mit meinem zuletzt bei der B.-Versicherung gestellten Lebensversicherungsantrag abgegeben habe.“
Im November 2008 bewilligte die Versicherung – mit kleineren Einschränkungen – den Antrag des Mannes mit einer Berufsunfähigkeitsrente von monatlich 1.500 Euro bis zum Jahr 2048.
In der Zwischenzeit hatte der Mann jedoch über starken, über schlimmer werdenden Schwindel geklagt. In einem Krankenhaus, das er Mitte Oktober 2008 aufgesucht hatte, diagnostizierten die Ärzte eine akute maligne Multiple Sklerose.
Der Mann war aufgrund dieser Erkrankung berufsunfähig und beantragte im April 2009 nun Leistungen seiner Versicherung. Diese lehnte allerdings ab – unter Verweis unter anderem darauf, dass der Mann alle bis zur Abgabe der Unterzeichnung der Zusatzerklärung aufgetretenen Krankheiten/ Behandlungen (und damit wohl auch den zu diesem Zeitpunkt bereits vorherrschenden Schwindel) hätte angeben müssen, dies aber unterlassen habe.
Das Thüringer OLG widersprach der Entscheidung der Vorinstanz und gab dem Mann Recht. Die Richter sahen zum einen keine bewusste Täuschung durch Unterlassung bei dem Mann. In den Versicherungsbedingungen heiße es ausdrücklich: „Kommen nach Antragstellung erstmals weitere Krankheiten, Unfallfolgen oder körperliche Schäden hinzu, besteht keine Anzeigepflicht.“ Die Richter hielten hierzu fest, dass das Verschweigen der eintretenden Symptome durch den Versicherungsnehmer keine Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht gemäß § 19 VVG bzw. eine arglistige Täuschung gemäß § 123 BGB sei.
Auch konnte das Gericht keine Täuschung durch positives Tun erkennen. Die Unterschrift unter die ergänzende Erklärung (siehe oben) könne nicht als solche gewertet werden. Die hier in der Ergänzungserklärung genutzte Formulierung lasse für den Versicherungsnehmer nicht erkennen, dass hiererneut eine Beantwortung der Gesundheitsfragen verlangt werde, diesmal für den Zeitpunkt der Abgabe der Ergänzungserklärung.
Nach Auffassung der Thüringer Richter sei die Erklärung für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer eher so zu verstehen, dass er hiermit seine zuvor gemachte Vertragserklärung („Ich habe keine falschen Angaben gemacht“) bekräftigt. „Eine vollständige Wiederholung der Beantwortung der vormaligen Gesundheitsfragen mit Bezug auf den Zeitpunkt der Abgabe der Ergänzungserklärung würde demgegenüber zwangsläufig und im Mindestmaß voraussetzen, dass die zahlreichen, detaillierten Gesundheitsfragen dem Versicherungsnehmer im Rahmen der Ergänzungserklärung nochmals inhaltlich vollständig und als augenfälliger Bestandteil seiner - neuen - Erklärung eindeutig vor Augen geführt werden. Dem genügt das durch die Beklagte zum Zweck der Ergänzungserklärung gestellte Formular nicht ansatzweise.“
Die Thüringer Richter verurteilten die Versicherung somit zu einer Nachzahlung von BU-Leistungen in Höhe von rund 130.000 Euro sowie einer vertragsgemäßen Fortzahlung dieser bis zum Jahr 2048.